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Text der Predigt von Pfr. Gianni Genre, Waldenserkirche in Pierolo (Turin), Lukas 13,10-17

«Er lehrte aber in einer der Synagogen am Sabbat. Und siehe, da war eine Frau, die achtzehn Jahre einen Geist hatte, der sie krank machte, und sie war verkrümmt und nicht imstande, sich ganz aufzurichten. Als Jesus diese sah, rief er sie herbei und sprach zu ihr: „Weib, du bist von deiner Krankheit erlöst!“ Und er legte ihr die Hände auf, und sie wurde gerade und pries Gott. Der Vorsteher der Synagoge aber, unwillig darüber, dass Jesus am Sabbat heilte, begann und sagte zum Volk: „Sechs Tage gibt es, an denen man arbeiten soll: an diesen nun kommt und lasst euch heilen und nicht am Sabbat!“ Da antwortet ihm der Herr und sprach: „Ihr Heuchler, bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippen los und führt ihn zur Tränke? Diese aber, eine Tochter Abrahams, die der Satan achtzehn Jahre lang gebunden hielt, musste sie am Sabbat nicht von dieser Fessel befreit werden?“ Und als er dies sagte, wurden alle seine Widersacher beschämt; und alles Volk freute sich über all die herrlichen Dinge, die durch ihn geschahen.»

Pfr. Gianni Genre (foto Riforma)

Liebe Schwester und lieber Bruder, ich wende mich an dich, um dir gleich zu sagen, dass es hier für jemanden ein Wort gibt, auch wenn vielleicht nicht für alle, nicht für jedermann. Das Wort Christi, das uns hier vor Augen gestellt wird, richtet sich an diejenigen, die – wie die Frau aus unserer Erzählung – schon seit geraumer Zeit spüren, dass sie von den zahlreichen Lasten des Lebens gekrümmt sind.

Ich wende mich an zwei Kategorien möglicher Hörer, an unsere Kirchen, an diejenigen, die sie in dieser Synode vertreten, und an diejenigen, die sie frequentieren und in ihr auf den verschiedenen Ebenen arbeiten; Kirchen, die, so weit ich sie ein wenig kenne, mir oft aus zahlreichen Gründen gebeugt erscheinen (im Übrigen scheint es mir nicht so, dass nur unsere Kirchen im guten alten Europa in dieser Verfassung leben). Nach meinem Eindruck herrscht hier oft ein Gefühl von Müdigkeit vor. Wir treffen auf Ernüchterung, Beziehungsschwierigkeiten, auf einen Mangel an Visionen und Phantasie.

Und jetzt richtet sich dieses Wort an dich, liebe Menschheitsschwester und lieber Menschheitsbruder, was auch immer deine Zugehörigkeiten sind, wenn du einfach nur deinen Blick nach unten gerichtet hast. Ich kenne deine Lage.

Als ich mich diesem Text zuwandte, dachte ich sofort an die vielen Menschen, die für mich in meinem Gedächtnis ein Gesicht und einen Namen haben, die sich vom Leben verdammt fühlen, verdammt von Trauer oder von Wunden, die nicht verheilen, von Bedeutungslosigkeit, von Einsamkeit, von Schuldgefühl und dem Gefühl, versagt zu haben, von der täglichen Mühe und Last ohne eine positive Bestätigung, immer oder fast immer mit gebeugtem Haupt…, Menschen, die glauben, und Menschen, die nicht glauben, die mir lieb sind, und die jahrelang, manchmal für immer in diese Körperhaltung verharren.

Kommen wir zum Text, zu einem ersten Detail, das die Lage der Frau unserer Erzählung betrifft: Unsere Übersetzung sagt, dass „ein Geist sie krank machte“, der griechische Text jedoch spricht in Wirklichkeit davon, dass ein Geist sie „schwach“ machte, sie „jeder Kraft beraubte“.

Die „Asthenie“ (das ist der verwendete Begriff) ist nicht eine physiologische Schwäche, sie ist auch im Ruhezustand anzutreffen. Diese „Asthenie“ kann muskulären, nervösen oder psychischen Ursprungs sein. Sie kann zu einer fortschreitenden Lähmung führen. Sie ist gekennzeichnet durch ein Sich-Gehen-Lassen, das in gefährlichem Maße zunimmt. Es ist eine Schwäche, die uns sogar daran hindert, nach Jesus zu rufen oder ihm ein Zeichen zu geben, wie es hingegen in vielen anderen Wundergeschichten geschieht. Es ist eine absolute Passivität, ein Zustand, aus dem wir nicht einmal hoffen, jemals wieder herauszukommen. Es ist vielmehr eine innere Empfindung, dass man es niemals wieder schaffen wird sein Haupt zu erheben, ja und dass dies mein und dein und unser Schicksal ist. Ja, und dass kein anderes Schicksal geben kann.

Für eine Kirche, aber auch für eine Person, gibt es keine größere Gefahr als eben diese Empfindung, dass du es nicht mehr schaffen wirst, im Vollsinn zu leben, zu lachen, zu lieben und geliebt zu werden.

Und nun kommen wir zu einem zweiten Detail: Jesus sagt uns nicht nur, dass diese Frau von ihrer Schwäche gebeugt, sondern dass sie in dieser furchterregenden Haltung vom Satan gebunden und gekrümmt war. Jesus nimmt kein Blatt vor den Mund. Offenkundig hat man zur Zeit Jesu nicht so sehr zwischen dem Psychischen und dem Physischen unterschieden. Man hat viel mehr zwischen dem Physischen und dem Dämonischen unterschieden. Nun, ich denke, dass man noch einmal neu über die Dimension des Dämonischen nachdenken muss, um etwas von unserer Zeit zu verstehen. Schauen wir uns den Brexit an: Mir scheint es geradezu dämonisch, dass über die Zukunft Großbritanniens, und teilwiese auch über die Zukunft Europas, nicht die junge Generation, sondern die Alten entschieden haben; die Alten, getrieben von Angst, und das, obwohl sie die einzigen sind, die noch garantierte Zukunft haben.

Mir scheint es dämonisch, dass die korrupten Seilschaften weiterhin unser Land verschmutzen, so als ob nichts gewesen wäre. Und noch etwas möchte ich anfügen: Am vergangenen 14. Juli befand ich mich in Nizza und habe aus der Nähe, gegen meinen Willen, das fürchterliche Blutbad auf der berühmten Promenade verfolgt. Nun, trotz all der möglichen Analysen, die ich gehört und gelesen habe, entgeht mir etwas im Verhalten der Person, die sich in einen Haufen Todestrieb verwandelt und sich im Wahne des Jihad in das Gewand einer persönlichen, ja geradezu kollektiven Erlösung kleiden möchte.

Aber es sind nicht nur diese Ereignisse, auf die man leider mit einer Angst reagiert, die wiederum weiteres Misstrauen und weiteren Hass produziert. Nein, es sind auch die vielen kleinen Dinge, die du nicht verstehen kannst, Dinge in dir und in den Beziehungen, die du lebst, manchmal auch die kleinen Dinge, die du im Inneren der Kirchen antriffst. Du fühlst dich nicht nur gebeugt, gekrümmt, daran gehindert, den Blick zu erheben. Nein, du bist auch gebunden, so als ob ein Seil, dass du nicht zerreißen kannst, dich an den Boden fesseln würde. Und das ist das Werk des Teufels, der sich leider einer guten Gesundheit erfreut und der sich in den Falten und Runzeln deines Alltagslebens verbirgt. Er will dich eben dahin bringen, dass du glaubst, dass dein Horizont dort aufhört, wo dein Blick hinreicht, dass es eben keine Möglichkeit der Erlösung und keine Zukunft gibt, dass sich Gott definitiv aus dem Staub gemacht hat und dass du ohne IHN leben musst, ohne jede Hoffnung.

Auch unsere kleinen Kirchen in Italien, die in ihrem hartnäckigen Widerstand bewundernswert sind, scheinen oft vor Schwäche gekrümmt. Wir schaffen es, ein interessantes Bild unserer kirchlichen Wirklichkeit abzugeben, sowohl in Italien als auch im Ausland, durch die Vielfalt unserer Diakonie und unseres Engagements (und auch aus diesem Grund geben uns viele Italiener Otto per Mille). Aber dieses interessante Bild laeuft in die Gefahr, unsere „Asthenie“ zu verschleiern. Es vermittelt die Illusion, ein bisschen stark zu sein (doch dies ist die schlimmste aller Schwächen), indem wir so vergessen, dass unser Zeugnis ausschließlich vom Wort Gottes abhängt. Wir haben keine Zukunft außerhalb oder jenseits des Dienstes, den wir an diesem Wort und – ausschließlich durch dieses Wort – am Nächsten leisten müssen.

In unserer Erzählung nun ruft Jesus die gekrümmte Frau. Es ist der Blick Jesu, der dieses Ereignis auslöst. Die Frau bittet um nichts, wie wir gesehen haben.

Das ist das Evangelium, die „Frohbotschaft“ unseres Textes. Wir beide, du und ich, sind hier, weil wir wissen, dass Jesus unsere Lage kennt, auch dann, wenn wir nicht mehr die Kraft haben sollten, ihn nach irgendetwas zu fragen. Jesus zerschneidet das Band, das die Frau an die Erde gekettet hat, auf einen Schlag, durch sein Wort und indem er ihr seine Hände auflegt. Und nun ist die Frau, die dazu verdammt war gekrümmt zu sein, nicht mehr gebeugt und nicht mehr gebunden. Für Jesus ist der Sabbat der Tag der Freiheit, der Tag, an dem die Freiheit sich behauptet und lebt. Diese Freiheit bringt eine große Dringlichkeit mit sich, die man nicht einfach auf den nächsten Tag verschieben kann.

Die Haltung der Frau wird wieder aufrecht, eine Haltung, die die Unterscheidung erlaubt. Unterscheidung meint hier die Fähigkeit, ein Urteil zu formulieren oder ein bestimmtes Verhalten in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Situation zu wählen.

Jesus spricht mit der Frau, berührt sie, stellt einen Kontakt zu der Frau her, die zweifach entfremdet ist: als Frau und als Kranke und Behinderte. Eine außergewöhnliche Befreiung, eine umfassende Befreiung, geradezu das Ende der Religion, wenn denn „religio“ „binden“ bedeutet! Ja, das Ende der Religion, die nur zu oft die soziale Ordnung für heilig erklärt, heute mehr denn je. Mit Jesus bist du los gemacht, bist du nicht mehr gebunden, bist du frei.

Alle sind jetzt Söhne und Töchter Abrahams. Abgesehen von einer einzigen Ausnahme nimmt Jesus allen Grenzen den Geschmack des Heiligen, auch der Grenze zwischen Männern und Frauen. Die Befreiung ist allumfassend, oder es ist keine wirkliche Befreiung.

Ich komme nun zum Schluss: Wir sind hier, um Christus darum zu bitten, dass er uns die Würde von freien Personen wiedergibt, die Fähigkeit zur Unterscheidung und die Freude dessen, der es wieder neu lernt Gott zu preisen. Versuchen wir dies auch auf dieser Synode!

Aber dir möchte ich sagen, dass Christus dich heute ruft, auch wenn es dir scheint, dass du nicht mehr die Kraft hast, an die Möglichkeit einer Veränderung deiner Situation zu glauben. Es ist Er selbst, der alles macht. Es ist Er, der die Bindungen deiner Entfremdung durchbricht. Jesus will, dass du losgebunden, geheilt, befreit bist. Dein Leben hat aufs Neue eine Orientierung und trotz all der realen Schwierigkeiten, die du erlebt haben magst und noch in diesem Augenblick erlebst sollst du wissen, dass dein Leben ein Geschenk ist, eine Pracht, uns geschenkt, damit wir es gratis und bewusst genießen. Freude ist möglich, gerade wegen des Geschenkcharakters des Lebens.

So möge es auch dir geschehen, liebe Schwester und lieber Bruder. Inmitten deiner Fragen und Zweifel macht dich der Erlöser offen für das Staunen, für das Staunen dessen, der neu entdeckt, das das Leben schön ist. So sei es.

21. August 2016